Beitrag von: Catriona Seth
Standort: die Türkei
Beschreibung: Wenn man den Namen ‘Dardanellen’ hört, hat man vielleicht das Bild eines geschäftigen Kanals mit vielen Schiffen im Kopf oder die Erinnerung an den Schauplatz eines tödlichen Feldzugs im 1. Weltkrieg. ‘Hellespont’ hingegen, ein anderer Name für das gleiche Gewässer, ruft einem möglicherweise die traurige, in den Klassikern der griechischen Mythologie erzählte Geschichte von Hero und Leander ins Gedächtnis, vielleicht auch die Versionen von Christopher Marlowe (1598) oder Leigh Hunt (1819). Beide Namen beziehen sich auf dieselbe Meerenge. Am schmalsten Punkt ist sie nur 1.2 Kilometer breit, aber die Strömungen sind dort extrem stark. Während sie in der Geschichte und in der Mythologie wegen der mit ihr verbundenen Todesfälle tragische Berühmtheit erlangte, ist die Meerenge außerdem von Bedeutung, weil sie Byron die Gelegenheit gab, eine scheinbar heroische Tat zu vollbringen, als er hindurch schwamm und tatsächlich sicher am gegenüberliegenden Ufer ankam. Die Tatsache, dass er diese Leistung zu Selbstvermarktungszwecken nutzte, verrät uns viel über seine Selbstwahrnehmung als Mensch und als Autor.
Er unternahm den erfolgreichen Versuch, schwimmend die andere Seite zu erreichen, am 3. Mai 1810. Das Ereignis wird in Byrons Gedicht ‘Written after swimming from Sestos to Abydos’ gebührend zelebriert:
Es war im dunklem Monat Dezember, dass
Leander, wie es seine nächtliche Gewohnheit war,
(Welche Maid erinnert sich nicht an diese Geschichte?)
deinen Strom durchqueren wollte, breiter Hellespont!
Es war, als die wüste Winterwinde wehten, dass
Alles wagend er zu Hero eilte,
Und du wie seit jeher starke Strömung sandtest,
Holde Venus! Wie mir beide leidtun!
Ich, ein schwächlicher, moderner Kerl, strecke
trotz des freundlichen Monats Mai,
entkräftet meine tropfenden Glieder aus
und denke, ich habe heute eine Heldentat vollbracht.
Doch da er die jähen Fluten,
wie es in der Geschichte heißt,
durchquerte, um zu werben und weiß Gott wofür sonst,
schwamm er für die Liebe wie ich für den Ruhm.
Es ist schwer zu sagen, wem es besser ergangen ist,
Arme Menschen, so quälen euch die Götter!
Seine Mühe war vergebens, genau wie meine Heldentat,
denn er ertrank und ich habe Fieber.
Byron präsentiert Leanders Tat und sein heldenhaftes Scheitern, bevor er einen pseudo-epischen Bericht über seine eigene Beherztheit ablegt – der ‘schwächliche, moderne Kerl’ triumphiert, wo der Liebende aus der Sage versagt. Der Mythos fungiert hier nur als Kontrast, um seine eigene Tat noch herausragender erscheinen zu lassen. Byron schreibt sich hier der Literatur ein, und das nicht nur, indem er eine Legende aufgreift, denn das ist der Ausgangspunkt vieler moderner Gedichte, sondern indem er sich gewissermaßen in die gleiche Ebene einbringt, in der die Charaktere der griechischen Mythologie agieren. Der spöttische Ton verbirgt einige der Schwierigkeiten, die er während seiner Großtat im kalten Wasser erlebte; einen früheren Versuch hatte er abbrechen müssen. In einem Brief an seine Mutter erwähnt Byron diejenigen, die vor ihm den Hellespont durchquert haben, zu einer Zeit, als nicht viele Menschen überhaupt schwimmen konnten, selbst wenn sie am Meer wohnten: „[Le] Chevalier sagt, dass ein junger Jude für seine Geliebte die gleiche Strecke geschwommen ist, und Olivier erwähnt, dass auch ein Neapolitaner es geschafft hat, aber unser Konsul, Tarragona, konnte sich weder an den einen, noch an den anderen erinnern, und versuchte, uns von unserem Vorhaben abzubringen. Ein Mannschaftsmitglieder von der ‘Salsette’ waren bekannt dafür, dass sie sogar noch längere Strecken geschwommen sind, und das einzige, was mich wirklich überrascht hat, war, dass, da man Zweifel hegte, ob die Geschichte von Leander wahr sei, keiner der Reisenden jemals den Versuch unternommen hatte, herauszufinden, ob die Durchquerung tatsächlich machbar ist“. Byron, der sich zweifelsfrei im Wasser zuhause fühlte, weil es ihn von den Einschränkungen durch seinen deformierten Fuß befreite, schreibt sich hier also einer Landschaft ein, die durch eine aufgeschriebene und erzählte Geschichte berühmt geworden und dann in neuen Versionen wieder und wieder erwähnt worden ist. Dadurch strebt er eben keine Gemeinschaft mit seinen längst vergessenen Zeitgenossen wie dem namenlosen Juden und dem unbekannten Neapolitaner an, sondern mit Charakteren, aus deren Abenteuern der Stoff der literarischen Vorstellungskraft in Europa gewoben ist.
In Don Juan verfolgte er ein ähnliches Ziel, wenn auch etwas großspuriger. Die Parallelen machen ihn in Quasi-Knittelversen selbst zu Inhalt von Mythen, was es ihm erlaubt, sich selbst zu feiern, wo er sich scheinbar klein macht.
Einen besseren Schwimmer kann man sich kaum vorstellen,
Vielleicht hätte er sogar den Hellespont durchqueren können,
Wie einst (eine Heldentat, auf die wir stolz sind),
Leander, Mr. Ekenhard und ich selbst es geschafft haben.
Geographisch betrachtet markieren die Dardanellen oder der Hellespont die Grenze zwischen Asien und Europa. Indem er die beiden Kontinente sozusagen schwimmend miteinander verband, betonte Byron die Lebenskraft der klassischen Überlieferungen, und das nicht weit entfernt vom Schauplatz des Trojanischen Kriegs. Er machte auch erneut die Wichtigkeit des antiken Griechenlands geltend (vor allem gegenüber der Türkei, die als moderner Besatzer angesehen wurde), und das wiederum lässt sich mit seiner eigenen literarischen Tradition verbinden, für die er, Jahre später, kämpfen würde.
Byrons Bestreben, sich selbst als wichtig zu etablieren und das nicht nur durch seine Werke, sondern auch als Person und durch das von ihm geführte Leben, führte zu einem Grad der Berühmtheit, der zu seiner Zeit von niemandem anderen erreicht wurde. Die Einzige, die eventuell als ebenbürtig angesehen werden kann, war Germaine de Staël. Ihr Ruhm basierte vor allem auf ihrer politischen Präsenz und der langen Zeit im Exil, obwohl, ebenso wie bei Byron, ihr erfülltes Liebesleben gerade in der Gerüchteküche der gebildeten Mittelklasse immer wieder ein beliebtes Thema war. Während Staël gewissermaßen von Geburt und durch ihre Erziehung Kosmopolitin war, hatte der sehr britische Byron die Absicht, in ganz Europa Karriere zu machen. Wie viele junge Aristokraten absolvierte er die Grand Tour, aber er kaufte nicht nur Veduten des Vesuvs oder Modelle des Sibyllentempels bei Tivoli, er kritzelte auch nicht nur ein paar müde Verse, um sich an seinen Besuch zu erinnern: Er erfand sich selbst, schrieb sich der Landschaft ein, nicht nur, indem er seinen Namen in Felsen ritzte, wie er das in Chillon und Sounion getan haben mag, sondern indem er seiner Forderung Ausdruck verlieh, ein essentieller Teil ihrer Geschichte zu sein. Obwohl er in Don Juan namentlich erwähnt wird, erinnert sich niemand an einen Leutnant Ekenhard, der neben Byron geschwommen und ihn sogar überholt haben soll. Aber an Byron erinnert sich jeder. Aber Byron war ja nicht nur der Autor seines eigenen Lebens, genau wie dieses Gedichts, sondern auch, wie er freimütig zugibt, auf der Suche nach Ruhm.