Autor: Patrick Vincent
Lage: Schloss Chillon, Avenue de Chillon 21 · CH 1820 Veytaux · Schweiz
Beschreibung:
Au milieu de tous les noms obscurs qui égratignent et encombrent la pierre, il reluit seul en trait de feu. J’ai plus pensé à Byron qu’au prisonnier. [Mitten unter all den unbekannten Namen, die den Stein verunstalten und überfüllen, leuchtet allein er in feurigen Lettern hervor. Ich habe mehr an Byron als an den Gefangenen gedacht.] Gustave Flaubert (1845)
Als enthusiastische Leser von Jean-Jacques Rousseaus Julie, ou La Nouvelle Héloïse (1761) segelten Lord Byron und Percy Bysshe Shelley vom 22. bis zum 30. Juni 1816 rund um den Genfersee und besuchten durch den Roman berühmt gewordene Schauplätze, darunter am Dienstag, dem 25. Juni, auch Schloss Chillon am östlichen Ende des Genfersees. Dieser Besuch diente als Inspiration für Byrons zwei Tage später verfasstes Gedicht The Prisoner of Chillon, das sich um François Bonnivard (1493-1570) dreht, einen berühmten politischen Gefangenen, der dort zwischen 1530 und 1536 vom Herzog von Savoyen festgehalten wurde. Byron kehrte am 18. September 1816 mit seinem Freund John Cam Hobhouse am ersten Tag ihrer Alpentour nach Chillon zurück. Louis Simond, der Chillon ein ganzes Jahr nach Byron, am 4. August 1817, besuchte, war der Erste, der das Vorhandensein von Byrons Autogramm im Souterrain oder Kerker des Schlosses dokumentierte, eingeritzt in die Südseite des dritten Pfeilers, 1,45 Meter von der unteren Kante der Säule.
Die Echtheit dieses Autogramms war fast von Anbeginn der Gegenstand von Kontroversen und Kritik.
Keines der Mitglieder des Kreises um Byron und Shelley und kein Reisender, der das Schloss vor Simond besuchte, erwähnt es. Erst bei seiner Rückkehr nach Chillon im August 1828 vermerkt Hobhouse mit vielsagender Belustigung: „Die Frau, die uns Chillon zeigte, wies uns auf ,Monsieur Lord Byrons‘ Namen hin.“ Außerdem ähnelt der Schriftzug von Byrons Autogramm beim Tempel des Poseidon in Sunion in Griechenland, vermeintlich 1810 von Dichter dort eingeritzt, in keinster Weise dem Autogramm in Chillon. Es ist daher höchst wahrscheinlich, dass eines der zwei oder beide gefälscht sind.
Die romantischen Pilger, die nach Chillon strömten, um Byrons Unterschrift zu sehen, diskutierten regelmäßig über seine Echtheit. Ein Tourist zum Beispiel, Austin Henry Layard, bemerkt in seinem Tagebuch aus dem Jahr 1835, dass es sehr zweifelhaft sei, ob der Dichter seinen Namen hätte hinterlassen können. Andere, inspiriert von der Byron-Manie dieser Zeit, glaubten lieber an seine Echtheit und schmückten den ihn umringenden Mythos manchmal sogar noch aus. Der bekanntermaßen unglaubwürdige Alexandre Dumas zum Beispiel behauptete, Byron habe seinen Namen alleine in der Nacht eingeritzt. 1842 fügte Victor Hugo dem hinzu, dass Byron dies mit einer Ahle mit Elfenbeingriff („un vieux poinçon à manche d’ivoire“) getan habe, die er im Zimmer des Herzogs von Savoyen gefunden habe. 1833 und 1836 ritzten John Ruskin und Nikolai Gogol ihre Namen in denselben Pfeiler, vermutlich als Hommage und Nachahmung. Dorothy Wordsworth, Maria Edgeworth, Charles Dickens, Matthew Arnold, Harriet Beecher Stowe, Nathaniel Hawthorne, Mark Twaine und William Dean Howells sind nur einige wenige der vielen literarischen Persönlichkeiten des 19. Jahrhunderts, die die Inschrift in ihren Tagebüchern, Briefen und Reiseberichten erwähnen.
Bis jetzt ist es Literaturhistorikern noch nicht gelungen, die Echtheit des Autogramms zu beweisen oder zu widerlegen. Die meisten stimmen Ernest Giddey zu, der meint, dass Byrons etablierte Berühmtheit sowie der sofortige Anklang des im Spätjahr 1816 veröffentlichten Prisoner of Chillon die Gefängniswärter oder Touristenführer des Schlosses veranlasst habe, den Namen des Schriftstellers einzuritzen, um so den Anreiz der Anlage zu steigern. In jüngerer Zeit hat David Ellis jedoch die Tatsache geltend gemacht, dass John Cam Hobhouse zufolge Byron am selben Tag seinen Namen im nahegelegen Schloss Châtelard und eine Woche später auf einem Stück Papier auf dem Gipfel des Lauberhorns in den Berner Alpen hinterließ. Beides weist darauf hin, dass das Autogramm in Chillon echt ist. Sicher ist auf jeden Fall, dass die Inschrift zusammen mit Byrons Gedicht dabei half, Chillon von einem Rousseau-zugehörigen Schauplatz in einen Byron-zugehörigen Schauplatz zu verwandeln. Damit wurde das Schloss nach 1816 zu einem der heiligsten Orte der europäischen Romantik und so wiederum zum meistbesuchten Baudenkmal der Schweiz.
Datum: 25. Juni 1816–4. August 1817
Urheber: Möglicherweise Lord Byron
Thema: George Gordon, Lord Byron (1788-1824)
Medienrechte: Fotos mit freundlicher Genehmigung der Schloss-Chillon-Stiftung
Objekttyp: Inschrift
Format: Inschrift auf Stein
Edition: Schloss-Chillon-Stiftung
Digitales Sammlungsverzeichnis: https://www.chillon.ch/fr/P7712/1816-2016-byron-is-back-lord-byron-le-retour
Literaturverzeichnis
Clubbe, John and Giddey, Ernest. Byron et la Suisse: Deux Etudes. Genève: Droz, 1982.
Ellis, David. Byron in Geneva : That Summer of 1816. Liverpool: Liverpool University Press, 2011.