Der Vesuv

Der Vesuv

Autor: Cian Duffy

Lage: Golf von Neapel, Italien (40°49N’ 14°26’E)

Beschreibung: Der Vesuv liegt unmittelbar außerhalb der Stadt Neapel in Italien und ist eines der imposantesten Beispiele der „erhabenen Natur“, die von Reisenden auf einer Grand Tour in Europa besucht wurden. Er war während des Zeitalters der Romantik mehr oder weniger durchgehend aktiv und verzeichnete zwischen 1774 und 1822 mindestens sechs erhebliche Ausbrüche. In einem auf Dezember 1818 datierten Brief beschreibt ihn der englische Dichter Percy Bysshe Shelley (1792-1822) als „nach den Gletschern [der Alpen] den beeindruckensten Ausdruck der Naturenergien, den ich je gesehen habe“, und dies schlägt sich sichtbar in den vulkanischen Landschaften und der Bildsprache in Prometheus Unbound (1820) nieder. (1) Einflussreiche Reiseberichte der Romantik, wie etwa A Classical Tour through Italy (1812) von John Chetwode Eustace (1762-1815) oder Remarks […] During an Excursion in Italy (1813) von Joseph Forsyth (1763-1815), boten der steigenden Anzahl an Touristen umfangreiche Beschreibungen des Vulkans und seiner Umgebung sowie Informationen über die neuesten Gedankenspiele der Naturphilosophie. Die Ausbrüche des Vesuvs wurden zum Stoff zahlreicher Gemälde, darunter berühmter Werke von Künstlern aus Großbritannien wie Joseph William Mallord Turner (1775-1851) und Joseph Wright of Derby (1734-97), aus Deutschland wie Jacob Phillipp Hackert (1737-1807) und aus Frankreich wie Pierre-Jacques Voltaire (1729-99); letzterer starb in Neapel. Sie wurden auch oft im Rahmen panoramischer Ausstellungen in London und anderen europäischen Hauptstädten abgebildet – und natürlich kommen sie in zahllosen Romanen, Gedichten und Dramen von Autoren aus ganz Europa vor. Es lässt sich sagen, dass der Vesuv verantwortlich ist für die explosionsartige Verbreitung (ich bitte um Verzeihung für das Wortspiel) von Vulkanen und Vulkanausbrüchen als Metaphern und Vergleichen für alles Mögliche, von dichterischer Inspiration bis zu politischer Revolution, in kulturellen Texten quer durch Europa. Lord Byron (1788-1824) hatte folglich zweifellos den Vesuv im Sinn, als er im 13. Gesang des Don Juan (1823) die seiner Meinung nach klischeehafte Allgegenwart von vulkanischen Metaphern beklagte:

„I hate to hunt down a tired Metaphor –
So let the often-used Volcano go;
Poor thing! How frequently by me and others
It hath been stirred up, till its Smoke quite smothers“ (Z. 285-8)

(Ich hetze höchst ungern eine müde Metapher –
Den vielgebrauchten Vulkan lasst also nur;
Das arme Ding! Von mir und andern auch
So oft geschürt, erstickend wirkt sein Rauch)

Eine der meistgelesenen literarischen Beschreibungen des Vesuvs im frühen 19. Jahrhundert stammt von der französischen Reisenden und Schriftstellerin Madame Germaine de Staël (1766-1817) und findet sich in ihrem enorm beliebten Liebesroman Corinne ou l’Italie, im Wesentlichen eine Hommage an die natürlichen und kulturellen Wunder dieses Landes, der im Mai 1807 erstmals auf Französisch erschien und im selben Jahr (zweimal!) ins Englische übersetzt wurde. Der Französische Maler François Gérard (1770-1837) macht in seiner Darstellung einer Schlüsselszene des Romans, Corinne au Cap Misène (1819-21), eine Verbindung sichtbar, die der Roman herstellt: Das Gemälde zeigt Corinna voller Inspiration beim dichterischen Improvisieren, während im Hintergrund vom Vesuv, mit dem sie implizit verglichen wird, Rauch aufsteigt. Anders gesagt veranschaulichen sowohl Roman als auch Gemälde den Umfang, in dem der Vesuv damals nicht nur als natürlicher, sondern auch kultureller Raum verstanden wurde. Corinne verdeutlicht dies, als über die Landschaft rund um Neapel bemerkt wird: „Es ist die Gegend auf der Erde, in der Vulkane, Geschichte und Poesie die meisten Spuren hinterlassen haben“. (2)

Der Vesuv und die nahegelegenen vulkanischen Landschaften von Solfatara und der Phlegräischen Felder waren natürlich schon seit der klassischen Antike berühmt und in zahlreiche Geschichten der Mythologie eingebunden, darunter auch jene des Orakels des Apoll bei Cumae, in dessen vermeintlicher Höhle der Anfang von Mary Shelleys (1797-1851) Roman The Last Man (1826) spielt. Diese Landschaften waren daher Paradebeispiele für das, was Joseph Addison (1672-1719) in seiner Letter from Italy (1701) „klassischen Boden“ nennt: Landschaften, die vollkommen mit kulturellen Bezügen überschrieben wurden, Landschaften, wo:

„the Muse so oft her harp has strung
That not a mountain rears its head unsung“ (Z. 12-14) (3)

(Der Muse Harfe hat so oft geklungen,
Dass hier kein Berg aufragt, der unbesungen)

Zusätzlich zu seinen zahlreichen mythologischen Bezügen war der Vesuv im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert jedoch auch bekannt für den vernichtenden Ausbruch im Jahr 79 nach Christus, der die Städte Pompeji und Herculaneum zerstörte und mindestens 1500 Menschen tötete, darunter den römischen Marinekommandanten und Naturphilosophen Plinius den Älteren (29-79 n. Chr.). Der Vulkanausbruch ist in zwei Briefen von Plinius’ Neffen, Plinius dem Jüngeren (61-113 n. Chr.), an Tacitus (gest. 117 n. Chr.) dokumentiert. Diese Beschreibung wurde in ihrer englischen Übersetzung oft neu herausgegeben und war wohl den Besuchern des Vesuvs zumindest vom Hörensagen bekannt. Es handelt sich dabei auch um einen der frühesten überlieferten Augenzeugenberichte eines Vulkanausbruchs, und die himmelhohe Säule aus heißem Gas, Asche und anderem Schutt, die Plinius beschreibt und die zum pyroklastischen Strom zusammenfiel, der Pompeji und Herculaneum unter sich begrub, wird noch heute „plinianische Eruption“ genannt. Pompeji und Herculaneum wurden in der Mitte des 18. Jahrhunderts wiederentdeckt und man begann mit Ausgrabungsarbeiten. Kulturelle Texte des Zeitalters der Romantik verbanden oft den Vulkan mit den Ruinen, so etwa das Gemälde The Forum, Pompeii, with Vesuvius in the Distance (1841) des dänischen Künstlers Christen Købke (1810-48) oder das Gedicht „The Image in the Lava“ (1827) der englischen Dichterin Felicia Hemans (1793-1835).

Es ist wenig überraschend, dass der Vesuv während des 18. Jahrhunderts und des romantischen Zeitalters nicht nur eine bedeutende Touristenattraktion darstellte, sondern auch Schauplatz war beträchtlicher Studien und Spekulationen in jenen Zweigen der Naturphilosophie, die später zu den modernen wissenschaftlichen Disziplinen der Geologie und Vulkanologie werden sollten. Wesentliche zeitgenössische Studien sind unter anderem die Observations on Mount Vesuvius, Mount Etna, and other volcanoes (1772) des britischen Diplomaten und Altertumsforschers William Hamilton (1730-1803), der in Neapel ansässig war, und dessen Begleitband Campi Phlegraei (1776), der vom Italiener Pietro Fabris (gest. 1792) aufwendig illustriert wurde.

Datum: Vor ca. 25.000 Jahren

Urheber: Gleichmäßige und über lange Zeit anhaltende geologische Prozesse

Medien: Pierre-Jacques Volaire, Vue de l’Éruption de Mont Vesuve du 14 Mai 1771 (1771)

Medienrechte: CCO Public Domain, The Art Institute of Chicago

Objekttyp: Somma-Schichtvulkan (aktiv); Höhe: 1281m im August 2019.

Ähnliche Objekte: Ätna

Literaturverzeichnis

  1. Percy Bysshe Shelley, Brief an Thomas Love Peacock vom 17./18. December 1818, zitiert nach The Letters of Percy Bysshe Shelley, hrsg. Frederick Jones, 2 Bde. (Oxford: Clarendon, 1964), ii, S. 62.
  2. Madame Germaine de Stäel, Corinne, or Italy, hrsg. und übers. Sylvia Raphael (Oxford: Oxford World’s Classics, 1994), Buch 13, Kap. 4., S. 233.
  3. Eine ausführliche Betrachtung der Darstellungen des Vesuvs als „klassischem Boden“ in kulturellen Texten des romantischen Zeitalters und sein Verhältnis zum zeitgnössischen Diskurs über Vulkanismus findet sich in Cian Duffy, The Landscapes of the Sublime, 1700-1830: ‘classic ground’ (London: Palgrave, 2013), S. 86-101.