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Translation by: Annika Munster
Als Begriff der Gemeinsprache wird “romantisch” gerne verwendet, um eine Landschaft zu charakterisieren oder auch die Darstellung einer Landschaft. Man denke da zum Beispiel an mystisch anmutende Sonnenuntergänge oder Burgruinen im Mondlicht von Casper David Friedrich (1774-1840). Romantische Landschaften sind also nicht nur reale, sondern auch fiktionale Orte, die von verlassenen ländlichen Umgebungen bis hin zu von Menschen erschaffenen Ausblicken und Gebäuden reichen.
Durch erhabene und dadurch anrührende Landschaften zu streifen, wurde von zeitgenössischen Reisenden hochgeschätzt. Man findet ausführliche Erzählungen über majestätische Gletscher, über das Zittern, das Reisende vor einem tiefen Abgrund überkam, oder wie sie, völlig gefesselt von der ungeheuren Energie aktiver Vulkane, stundenlang das einschüchternde Schauspiel von Flammen und Lava bewunderten. Der Ätna (Ausstellungsstück 1) befeuerte ein wiedererstarkendes Interesse bei Altertumsforschern wie William Hamilton (1703-1803) oder Universalgelehrten wie Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832), denen zahllose Touristen, den Reiseführer in der Hand, nach Italien folgten. Wenn eine Landschaft wie diese solche Emotionen hervorruft, gibt es in vielen Fällen eine Verbindung zu antiken Kulturen. Hier trifft Mythos auf Wissenschaft. Als Joseph Banks (1743-1820) von Captain Cooks Expedition in den Pazifik zurückkehrte, begann er, die Insel Staffa in Schottland zu erkunden. Dabei entdeckte er eine bemerkenswerte natürliche Felsformation, die ‘Fingals Höhle’ (Ausstellungsstück 2) genannt wurde. Schon kurze Zeit später zog ebendiese Höhle viel Aufmerksamkeit auf sich, unter anderem die von Felix Mendelssohn, der sich von ihr zu seiner berühmten Komposition inspirieren ließ. Die Umgebung, in Ossian zugeschriebenen epischen Gedichten geschildert und dank zahlreicher Übersetzungen überall in Europa bekannt, wurde als Quintessenz der schottischen Landschaft wahrgenommen, sodass die Landschaft sich gewissermaßen der literarischen Vorstellung anpassen musste. Ebenso wie die Gegend rund um den Genfer See sozusagen „rousseau-isiert“ wurde, um auf Ausschnitte von Jean-Jacques Rousseaus damaligem Bestseller Julie oder Die neue Heloise (1761) anzuspielen, wurde ein Zierbau in der Nähe von Dunkeld „Ossians Halle“ getauft, um ihn sagenhafter zu machen (Ausstellungsstück 3). Er wurde Teil einer Szenerie aus Konstruktionen und Landschaft, die der ossianischen Poesie Tribut zollen.
Bald folgten finanzielle Interessen den kulturellen, die diese realen Orte zu „romantisierten“ literarischen Sehnsuchtsorten werden ließen. Viele Landschaften wurden erst durch Gemälde und Stiche, die wahrscheinlich als Souvenirs dienten, richtig berühmt. Doch die Veduten (Ansichten), die Touristen zum Beispiel in Italien kauften, waren auch eine gute Möglichkeit, das Exotische mit nach Hause zu nehmen. Das Wedgwood „Frosch“-Service von Katharina der Großen (Ausstellungsstück 4), das 1773 für den Kekerekeksinenski-Palast in der Nähe von St. Petersburg in Auftrag gegeben wurde, war ihrem Wunsch gemäß mit Ansichten von England verziert. Der damaligen Mode nach sammelten viele Reisende Samen und Triebe von Pflanzen, um sie bei ihrer Rückkehr im eigenen Garten anzusiedeln und so die Landschaft nach eigenem Gusto zu verändern. So sorgte zum Beispiel eine Libanon-Zeder im Garten von Chateaubriands französischem Haus (Ausstellungsstück 5) für nachhaltige Inspiration. Ein anderer Franzose, Victor Hugo, fand die baskische Landschaft intellektuell derart beflügelnd, dass er sich 1843, sehr zur Verwunderung seiner Zeitgenossen, sogar für kurze Zeit in einem bescheidenen Haus in Pasaia niederließ (Ausstellungsstück 6).
Die Menschen suchten und fanden Romantik weit entfernt, aber genauso vor ihrer eigenen Türschwelle. Die Berichte über seinen Aufstieg zur Spitze des Scafell Pike in Wordsworths „Guide to the Lakes“ (Ausstellungsstück 7) machen deutlich, dass man die eigene Heimat in ähnlicher Weise erkunden kann wie fremde Länder. Sie zeigen auch, dass romantische Landschaften häufig gegendert dargestellt werden, d.h. dass sie vor allem für ein größeres Publikum aus der männlichen Sicht beschrieben werden, selbst wenn es tatsächlich eine Frau war, auf deren persönliche Erfahrungen man zurückgreift.
Aber Landschaften (und ihre Darstellung in der Kunst) diente nicht nur als Quelle für intensive, individuelle Gefühle, sie konnten darüber hinaus eine explizit politische Funktion einnehmen, wie z.B. als William II. eine Reihe von Gemälden in Auftrag gab, die idyllische Ansichten von Luxemburg (Ausstellungsstück 8) zeigten, womit er seine Unterstützung für den Anspruch des Hauses Oranien-Nassau auf das Großfürstentum deutlich machen wollte. Koekkoeks Darstellungen von den Burgruinen vereinen vergangenen Ruhm und den damals gegenwärtigen Nationalismus durch das überaus kraftvolle Gefühl der Nostalgie. Sie dokumentieren außerdem hervorragend das neu aufkommende Bewusstsein, dass sich Herkunft und Erbe wunderbar politisch instrumentalisieren lassen. Ebenfalls politisch, aber in anderer Art und Weise, erhebt Byron, der durch den Hellespont schwimmt (Ausstellungsstück 9), Anspruch auf eine Landschaft. Er machte sich selbst zu einem literarischen Charakter, der sich als Held zu Leander und anderen Figuren des klassischen Altertums gesellt. Er machte also seine eigenen Taten zum Inhalt seiner Poesie und nutzte so geschickt die Berühmtheit der Meerenge, um sich selbst zu charakterisieren, indem er sich, metaphorisch gesprochen, in die Landschaft hineinschrieb.