Tintenständertisch

Beitrag von: Jean-Marc Hovasse

Standort: Maison de Victor Hugo, 6, place des Vosges, 75004 Paris.

Beschreibung: Während der Julimonarchie in Frankreich organisierte Madame Victor Hugo oft Lotterien und Wohltätigkeitsmärkte. Sie blieb auch während ihres Exiles in Guernsey dabei. Sie erzählt, dass sie, als sie ein fünfjähriges Mädchen auf ihre sechs Monate alte Schwester aufpassen sah, die Idee von einer Kinderkrippe hatte, in welcher Mütter ihre Kinder sicher in Betreuung geben konnten, während sie arbeiteten, anstatt sie auf der Straße allein zu lassen. Dies war der Ursprung des großen Bazaar, der in der letzten Juniwoche 1860 in Saint-Pierre-Port gehalten wurde. Der Basar wurde sehr gut vorbereitet, wie ein Brief von Madame Victor Hugo an George Sand vom 25. März 1860 erkennen lässt: “Um so viel Geld wie möglich zu verdienen, brauche ich viele und möglichst wertvolle Artikel. Monsieur de Lamartine hat mir einen seiner Tintenständer übergeben. Ich bin ja schon reich. Ich möchte dieses Reichtum mit einem von Ihnen gebrauchten Tintenständer vergrößern. Ich würde ihn mit dem des berühmten Dichters vorzeigen. Es ist egal, ob Ihr Tintenständer aus Glas oder Kristall, Kiefer- oder Ahornholz gemacht ist; solange Sie Ihren Federhalter darin eingetaucht haben, und Sie mir eine Notiz schreiben könnten, dass Sie ihn besaßen.”

War das wirklich ein Tintenständer? Dieses kleine, durchscheinende, pinke und von goldenen Arabesken geprägte Glas, von Lamartine mit einem zweizwiligen Alexandriner als Unterschrift überreicht: “Gifted by Lamartine to the master of the pen [Geschenkt von Lamartine an die Meisterin der Feder]”? Manche behaupten, dass er eher Pulver zum Trocknen der Tinte enthielt… Im Gegensatz dazu schickte George Sand einen Tintenständer aus rauem Holz, zusammen mit einem Zigarettenanzünder. “Liebe Madame, nachdem ich zwei Tage nach einem Tintenständer suchte, der mir nicht besonders ist, ist dieses schreckliche Stück Holz das einzige, was ich finden konnte. Ich benutze es während dem Reisen. Ich finde es so hässlich, dass ich Ihnen ebenfalls einen Zigarettenanzünder übersende, der zwar nicht viel schöner ist, aber sehr oft von mir benutzt wird, wie Sie es wünschten, also erfüllt er wenigstens das Kriterium. […].” (30. März 1860)

Madame Victor Hugo schien ihren Plan vom doppelten Tintenständer zum vierfachen gewechselt zu haben, da die Schenkung von Alexandre Dumas, dem dritten Muskeltier, vom 10. April 1860 stammt. Diese Schenkungen entsprechen denen von George Sand (ein weißer Tintenständer aus Glas und ein hölzerner Federhalter mit einer typischen Eisenfeder); die beiliegende unterschriebene Notiz ähnelt jedoch der knappen Schlagfertigkeit Lamartines: “Ich bestätige, dass dies der Tintenständer ist, mit dem ich meine letzten fünfzehn oder zwanzig Romane schrieb.” Victor Hugo gab einen Tintenständer aus massivem Holz mit einem seiner berühmten (gebrauchten) Federkiele und folgender Notiz: “Ich wählte diesen Tintenständer nicht aus; das Schicksal legte ihn in meine Hände, und ich habe ihn mehrere Monate lang benutzt. Da ich aufgefordert wurde, etwas für gute Zwecke zu spenden, übergebe ich ihn mit großer Freude. Victor Hugo/ Hauteville House/Juni 1860.” Äußerste Höflichkeit: als etwas späte Ergänzung zur Kollektion ist seine Notiz banal, und wetteiferte weder Lamartines Lyrik noch Dumas’ Geist.

Zwei Bleistiftzeichnungen im Notizbuch zwischen April und Mai 1860 (BnF, naf 18 310) bestätigen, dass sich Victor Hugo tatsächlich die hölzerne Schreibtischplatte mit ihren vier runden Ecken, die diese Schätze enthielt, vorstellte und das System für die Präsentation erfand. Die Namen der einzelnen Autor*innen wurden mit bronzenen Großbuchstaben (mit dem Vornamen, außer Lamartine) in das Holz eingefügt. Die verschiedenen Objekte (bei George Sand und Lamartine wurden die Deckel vom Tintenständer entfernt) werden von dicken Metalldrähten wie große Klammern festgehalten und die Autographen in vier Schubladen an den Enden geschützt und präsentiert. Die Verwirklichung dieses Objekts, sowie mehreren Möbeln in Hauteville House, wurde vom Tischler Willcock unternommen. Es ist nicht unmöglich, dass dies gleichzeitig zur Wiederaufnahme und Vollendung des Romans Die Elenden von Hugo, der mehr oder weniger mit Alexandre Dumas und George Sand (sowie mit Balzac, obwohl er zu dieser Zeit nicht mehr lebte) um die Stärke des romantischen Feuers konkurrierte. Er war ebenfalls Lamartine zum Rivalen, da er Ideen benutzte, die 1848 verspottet wurden.

War es daher ein Objekt, das zu persönlich war, um wiederverkauft zu werden? Victor Hugo vermerkt in seinem Tagebuch zu Beginn des Verkaufs—als hätte es nichts mit ihm zu tun—dass “es mit 100 Pfund angegeben wird” (ein überhöhter Preis von 2500 Franken), was heute etwa 50.000€ entspricht. Das Stück war für die Leute in Guernsey viel zu teuer und blieb deshalb unverkauft. Der Gesamtbetrag des Verkaufs, der mehrere Tage dauerte und eine Tombola zum Abschluss hatte, konnte diesen Betrag nicht erreichen. Sechs Monate später wurde es am anderen Ende der Insel in einer “Ausstellung von Kuriositäten zum Nutzen der Arbeiter” (Tagebuch 4. Januar 1861) erreichte es schon den Status eines Museumsstücks. Im folgenden Jahr verkündete Jules Claretie “drei dieser vier Genien, die geliebt wurden”, von den anderen Four Winds of the Spirit begeistert, kritisierte Die Elenden erbarmungslos: der feinen Balance des Stückes wurde geschadet. Bis zu Victor Hugos Tod verließ es den blauen Salon des Hauteville House überhaupt nicht mehr.

Für die Eröffnung des Place des Vosges Museum 1903 repartierte Paul Meurice die Schreibtischplatte nach Paris und ließ es in ein großes Quadrat—wobei von jeder Seite eine eingerahmte Unterschrift vor einer Schublade sichtbar war—montieren. Das Ganze stand auf vier Beinen, die passenderweise einen einbeinigen Löwen, oder eine Chimäre, darstellten. In dieser neuen Form eines Tisches wurde das Objekt seitdem ausgestellt. Trotzdem es kein Drehtisch ist, ist es extrem aufrüttelnd.