Scotts Stuhl

Beitrag von: Kirsty Archer-Thompson F.S.A. Scot

Standort: Abbotsford, Melrose, Schottland

Beschreibung: Dieses Objekt ist ein Mahagony-umrahmter Ellbogenstuhl mit einem schiefen Rückenausschnitt, wie man sie oft in spät-georgianischen Bibliotheken findet. Es ist immer angenommen worden, dass der Sitz aus echtem Leder wäre, aus Schichten von zermalmtem, mit Konservierungsstoff überzogenen Papier. Der Sitz ist selbst für eine Person mit einer großen Statur sehr tief; es ist eine seltsam entspannte Entscheidung, es mit dem vielseitigen Architektentisch, den Walter Scott 1810 von Gillows of Lancaster beauftragte, zu kombinieren. Man erkennt, dass die Sitzposition eher förderlich für das Denken und Lesen anstatt stundenlanger Beschäftigung mit der ‘Aufgabe’, umfangreiche Geschichten und Romane zu schreiben. Obwohl es im Allgemeinen ein schlichtes Möbelstück ist, hat der Stuhl schilfbedecktes Detail auf der Vorderseite des Rahmens und um die kegelförmigen Beine herum. Beweise eines spärlich eingeknöpften Rückens überleben durch eine Serie von kleinen Nadellöchern und Fadenklumpen, wobei keine Knöpfe übrig geblieben sind. Der Stuhl ist stark abgenutzt und das gesamte Stück strahlt eine Aura von robuster Ländlichkeit aus. Der Hersteller diese Stuhls und der genaue Zeitpunkt des Verkaufs sind unbekannt, obwohl es vermutlich von William Trotter of Edinburgh erworben wurde. Das Stück war jedenfalls 1826 in Scotts Studie in Abbotsford und könnte dahin, zusammen mit dem Tisch verlegt worden sein, nachdem das Haus in Edinburgh aufgrund der Finanzkrise 1825-6 verkauft werden musste.

Sobald der Innenraum von Scotts Studie in Abbotsford 1825 vollendet wurde, gab es ein großes Interesse am Raum als der Ort, von welcher seine Geschichten ausgingen; dieser Enthusiasmus war vor allem auf seinem Tisch und Stuhl als eine Art säkularer Altar gerichtet. Bereits im Jahr 1826 finden wir, wie sich der Autor in The Border Tourist in Scotts Ellbogenstuhl bequem macht und behauptet, dass der Schriftsteller “das Sitzen gewohnt” ist. Während er grübelt und die Schreibutensilien um ihn herum beobachtet, verkündet er, dass die zukünftige Generation “mit Interesse, gar Verehrung zurückblicken wird”. Das war ein Vorzeichen für ein Aspekt von Scotts Übergang zur Kultfigur der romantischen Bewegung in Europa und darüber hinaus.

Die Resonanz des Stuhls zur Geschichte vom sich entwickelnden Kultstatus wurde wunderbar von einer Gedenktheatervorstellung illustriert, das in den Monaten nach dem Tod des Autors im September 1832 sowohl in Großbritannien als auch in Nordamerika die Runde machte. In Thomas Barrys Masque and Pageant in Honour of the Minstrel of the North wurde Theaterbesuchern die Studie in Abbotsford als Bühnenbild angeboten (offensichtlich rechnete man damit, dass man den Raum erkannte). Das Bühnenbild war durch Darstellungen von Scotts Schreibtisch und seinem ‘leeren’ Stuhl komplett. Eine lose Harfe wurde wegen ihres symbolischen Effektes hinzugefügt. Wie in ‘Border Tourist’ engagiert sich in der Eröffnungsszene ein Charakter, der als Barde bekannt ist, aktiv mit Scotts Stuhl und setzt sich in die einhüllende Form hin. Wie der Dichter Thomas the Rhymer in the Minstrelsy of the Scottish Border (1802-3) fällt er in einen tiefen Schlaf, nachdem er schläfrig zugunsten des Publikums verkündet: “yon chair doth woo me. [Ihr Stuhl lockt mich an]” Hier wird der Stuhl als ein magisches Portal betrachtet, das den Protagonisten und die Zuschauer zu einem Tempel transportiert, wo die Geister der Kontinente ihre Lobreden an den toten Schriftsteller halten. Um diese trauernde Stimmung zu vernichten, erscheint die Personifikation der Unsterblichkeit und versichert sowohl die Besetzung als auch die Zuschauer, dass Scott mittels “der Kreationen seiner Feder” für immer leben werde. Dies bereitet den Weg für das eigentliche Schauspiel, nämlich eine Serie von Vignettes von seinen beliebtesten Gedichten und Romanen.

Das Konzept des Stuhls als ein Portal zu Scotts Imagination, sowie die Idee, dass das eine Kraft ist, die Anderen zugänglich ist, scheint ein Verlangen nach der physischen Auseinandersetzung mit dem Objekt erschaffen zu haben. In einer Reihe von frühen Touristenberichten von den 1830-50er Jahren wird der Ellbogenstuhl als “gemütlich” von vielen beschrieben, die es ausprobieren konnten. Der Schriftsteller George Eliot beschreibt es mit Sinnesbegriffen als “köstlich”.

In den 1840er Jahren wurden die aufwendigen Abbotsford-Ausgaben von Scotts kompletten Werken mit fast zwei Tausend eingravierten Illustrationen veröffentlicht. Eines der ersten Bilder ist William Dickes’ Skizze von Scotts Stuhl, mit seinem letzten Satz von Kleidung. Durch die unbeschwerte Ausrichtung und die auf Interaktion und Dynamik andeutende Zerstreuung von Oberbekleidung lässt sich schließen, dass Scotts physische Abwesenheit temporär sei. Die paneuropäische Faszination mit dem Stuhl kann in einer Gravur aus dem Jahre 1860 von einem Abbotsford-Besuch der Kaiserin Eugenie, die Frau von Napoleon III von Frankreich, gesehen werden. Hier steht die kaiserliche Entourage vor dem Tisch, wobei sie es fast in den Schatten stellen, um auf den Stuhl, das ins Zentrum des Zimmers gerollt wurde, voll und ganz zu fokussieren. Ähnlich wie bei der Maske vom Jahre 1832 wird das Auge zum leeren Stuhl—und dessen komplexer Symbolismus als ein Ort der Kreativität, Erinnerung und Erbe—gerichtet. Die Tatsache, dass der Ellbogenstuhl später als ein tragbares Relikt in sammelbaren Porzellanminiaturen verbreitet wird und in Unmengen von frühen Postkarten und Photographien vorkommt, verstärkt seine spezifische Attraktivität als ein Ort des kreativen Ursprungs.

Das Stück trug schon früh nach dem Tod die Konsequenzen der Interaktion mit Besuchern, wie Charles Dickens sich an seinen Besuch im Jahre 1841 erinnerte:

“Ich wollte auf dem Stuhl des großartigen Autors sitzen; der Wärter wies jedoch höflich und beharrlich ab, mit der Begründung, dass ihr explizit gesagt wurde, dass sie keinem die Berechtigung erteilen solle. ‘Der Stuhl’, sagte sie, ‘würde sonst bald abgenutzt sein, wenn jeder Besucher darauf sitzen dürfte.’ Ich respektierte ihre Befehle, saß jedoch trotzdem auf dem Stuhl … auf Antrag vom Besitzer von Abbotsford.”

Durch diese besondere physische Beziehung mit einer Reihe von literarischen Größen, die in seinen Fußstapfen folgten, erhielt der Stuhl immer mehr romantisches Kapital als ein Sitz von Imagination, einer der wenigen Plätze in Zeit und Raum, in welcher die Geschichten berühmter Schriftsteller*innen aufeinander zuliefen.