Beitrag von: Małgorzata Wichowska
Standort: Muzeum Literatury im. Adama Mickiewicza
Beschreibung: Diese Krawattennadel ist Teil der Mickiewicz Collection, die wichtigste Kollektion im Literaturmuseum Warschaus, benannt nach dem Dichter Adam Mickiewicz (1798-1855), einer Gründerfigur der polnischen Romantik. Die Mission des geschichtlich-literarischen Museums ist es, Manuskripte, Romane, Kunstwerke, Photographien und Mementos zu sammeln, die sich mit dem diversen literarisch-künstlerischen Erbe Polands vom 19., 20., und 21. Jahrhundert auseinandersetzen. Die Krawattennadel aus Gold liegt in Form einer viersaitigen klassischen Lyra vor, die mit in Silver verarbeiteten Diamanten dekoriert ist. Die Überlieferung besagt, dass die Krawattennadel eine Schenkung des russischen Dichter Alexander Pushkins (1799-1837) an Adam Mickiewicz war.
Mickiewcz wurde im Prozess gegen die Gesellschaft der Philomathen in Vilnius verurteilt und verbrachte viereinhalb Jahre lang in fernen Provinzen des russischen Reiches, Pushkins Heimatland, zwischen November 1824 und Mai 1829. Die zwei Dichter trafen sich Mitte Oktober 1826 in Moskau, einige Zeit nach Pushkins Ankunft. Er hatte sich nämlich unter polizeilicher Überwachung in seinem eigenen Gut aufgehalten, bis der Tsar Nicholas I, ihn begnadigte und nach Moskau einberief, um sein persönlicher Zensor zu sein. Die Dichter trafen sich durch gemeinsame Freunde regelmäßig, z.B. in den aristokratischen Salons des Prinzen Piotr Wiaziemski, Zinaida Wołkońska, und der berühmten polnischen Pianistin Maria Szymanowska, Mutter von Mickiewiczs zukünftiger Frau. Im März 1827 schrieb Mickiewicz an seinen Freund Edward Odyniec: “[…] Pushkin ist fast genauso alt wie ich (zwei Monate jünger), voller Humor und fesselnden Konversationen; er ist belesen und hat eine gute Kenntnis der modernen Literature, er hat eine pure und hohe Vorstellung der Lyrik”. Die Bewunderung beruhte auf Gegenseitigkeit; Pushkin kannte Mickiewiczs werk eshr gut und soll Folgendes gesagt haben: “Von allen Polen interessiert mich nur Mickiewicz…” Beide schätzten auch das Werk Byrons: Mickiewicz schenkte Pushkin eine Ausgabe von The Works of Lord Byron Complete in One Volume (Frankfurt 1826), mit der Inschrift “Byron übergeben an Pushkin von A. Mickiewicz, einem Bewunderer von beiden.”
Zwischen den Familienmementos in der Mickiewicz-Sammlung des Literaturmuseums gibt es mehrere Schenkungen des russischen Poeten an Mickiewicz: eine kleine Lapislazuli-Flasche, eine kleine Walnussbox, und diese schöne und wertvolle Krawattennadel in Form einer klassischen Lyra. Die Lyra ist als Instrument der Götter und Musen sowohl ein Symbol der Kunst, Musik und Lyrik sowie Harmonie, Liebe und Freundschaft. Aus diesem Grund war dieses Motiv im Schmuckhandel sehr beliebt, um Emotionen und Gefühle auszudrücken. Es erscheint ziemlich oft im ersten Viertel des 19. Jahrhunderts als ein Element von Brust-, Krawatten- oder Haarnadeln. Pushkin konnte sich gewiss ein solch kostbares Schmuckstück leisten. In Anbetracht der symbolischen Bedeutung und des emotionalen Gewichts war diese Schenkung eine Geste aus einem tiefen Bedürfnis, seine Anerkennung und Freundschaft für Mickiewicz auszudrücken.
Die genauen Umstände dieser Geste ist uns nicht bekannt, da es von Zeugen oder den Dichtern selbst keine Berichte gibt. Es könnte nach Mickewiczs Ankunft in St. Petersburg im Dezember 1827 stattgefunden haben. In St. Petersburg kamen sich die Dichter näher. Sie besuchten zusammen Restaurants, und gingen spazieren; auf auswärtigen Ausflügen besuchten sie die Landsitze und Salons von gemeinsamen Freunden, wo sie Scharade spielten und in einer relaxten Atmosphäre Literatur diskutierten—niemals Politik, da viele Informanten präsent waren. Sie lasen gegenseitig ihre Werke, und Mickiewicz improvisierte Versen. Die Improvisationen waren eine gesellschaftliche Sensation, und er würde als ein angenehmer, bescheidener, weiser, und vor allem inspirierter Dichter erinnert werden. Pushkin—der von Freunden als sensitiv und ehrlich, aber oft reizbar und unberechenbar gesehen wurde—fehlte dieses Können. Von der künstlerischen Inspiration und dem Phänomen der Improvisation inspiriert, war er von Mickiewiczs Aufführungen entzückt. In Pushkins Erinnerung, wie er in seinem Gedicht “He Lived Among Us [Er Lebt Unter Uns]” schrieb, war der polnische Poet “von oben inspiriert”, eins mit dem Wesen der Lyrik, Imagination und Inspiration. Bevor er (teilweise mit der Unterstützung Pushkins und seiner Freunde) im März 1829 Russland verließ, kam Mickiewicz nach Moskau, um Abschied von seinen Freunden zu nehmen, und traf Pushkin zum letzten Mal.
Die zwei Dichter informierten sich jedoch weiterhin von ihren Vorstellungen und Karrieren. Tragische Ereignisse beeinflussten ihre folgende Beziehung: Der Novemberaufstand und der Polnisch-Russische Krieg 1830-31. Mit dem Glauben an die imperiale Kraft Russlands unterstützte Pushkin polnische Ambitionen und Unabhängigkeitsmaßnahmen nicht. Obwohl er annahm, dass Lyrik ein Selbstzweck sei, schrieb er zwei Gedichte, welche die russische Kraft verteidigten, Oszczercom Rosji [“An die Verleumder Russlands”] im Jahre 1831 und Rocznica Borodino [“Der Jahrestag von Borodino”] nach dem Eroberung Warschaus. Mickiewicz machte sich mit den Werken vertraut, als er in Dresden an Dziady [“Abend der Vorväter”] schrieb. In seinem Gedicht Do przyjaciół Moskali [“An Meine Freunde, die Moskauer”] warf er russischen Dichter*innen vor (ohne Namen zu nennen), dekabristische Ideale zu verraten und sich dem Tsar zu unterwerfen. Pushkin nahm mit seinem Gedicht Jeździec miedziany [“Der bronzene Reiter”] an einer öffentlichen Polemik mit ihm teil. Wobei Mickiewicz eine albtraumhafte, despotische Eigenschaft im Standbild von St. Petersburg wahrnahm, sah Pushkin es als ein Symbol der imperialen Kraft, einer Quelle des Stolzes.
Trotzdem präsentierte der russische Dichter in seinem Buch Eugene Onegin (1825-1832) Mickiewicz als ein inspirierter Barde, der bei dem heiligen Land der Imagination verweilte, in Gedanken jedoch mit einem verlorenen Heimat verbunden war. Diese Darstellung spielt auf Walenty Wańkowiczs berühmtes Porterait von Mickiewicz an, “Adam Mickiewicz na Judahu skale” [“Auf dem Felsen von Judah”] (1828), in welcher Mickiewicz byronisch und tief in Gedanken auf einem felsigen Hügel posierte. Mickiewicz seinerseits sagte nach Pushkins Tod im Duell 1837: “Wir waren geteilt durch Politik, doch vereint durch Lyrik.” Mickiewicz schrieb einen Essay zum Gedenken, das er mit “Pushkins Freund” unterzeichnete, in welcher er die Ungeheuerlichkeit des Verlustes betonte: “ein schwerer Schlag für das intellektuelle Russland.”