Beitrag von: Juan Manuel Ibeas-Altamira
Standort: Pasaia, Spanien
Beschreibung: Am 18. Juli 1843 brach Victor Hugo wie üblich zu seinem jährlichen Sommerurlaub auf. Gemeinsam mit Juliette Drouet ging es in Richtung Gavarnie, Luz und Cauterets. Der berühmteste Schriftsteller der französischen Romantik machte sich unterwegs Notizen. Als sie die Grenze überquerten, erinnerte er sich an einen früheren Familienurlaub in Spanien, deshalb war eine Reise in dieses fremde Land auch eine Reise in seine Kindheit.
Die Ankunft in Spanien war allerdings enttäuschend. Der Anblick der halb verlassenen Île de la Conference, ein historischer Ort franko-spanischer diplomatischer Begegnungen nahe der Grenze, war fast komisch: „Wo sich das Haus der Franzosen mit dem der Österreicher vereinte, wo der raffinierte Mazarin gegen den stolzen Luis de Haro wie in sportlichen Zweikampf antrat, stand nun eine wiederkäuende Kuh“ (1). Das sagenhafte Land seiner Kindheit, ein Spanien von Pracht und Adel, war in heruntergekommenen Zustand, sein feierlicher Glanz verblasst. Irún hinterließ einen ähnlichen Eindruck – Hugo fühlte sich betrogen, wie jeder moderne Tourist auf einmal mit den verheerenden Auswirkungen der Gentrifizierung konfrontiert:
Hier erschien mir Spanien zu ersten Mal und überwältigte mich, den französischen kleinen Junge, der im Mahagoni des Empire aufwuchs, mit seinen schwarzen Pferden in engen Straßen, den hölzernen Balkonen und seinen Festungstoren […]. Doch weh mir! Irun ist nicht länger Irun. Irun ist jetzt mehr Empire und Mahagoni als Paris. Man sieht nur weiße Pferde und grüne Fensterläden. Spanien, immer noch rückständig, scheint jetzt Jean-Jacques Rousseau zu lesen. Irun hat seine Physiognomie verloren. Oh verschönerte Dörfer, wie hässlich ihr jetzt seid! Wo ist die Geschichte? Wo ist die Vergangenheit? Wo ist die Poesie? Wo sind die Erinnerungen? Iron sieht jetzt aus wie Batignolles. (2)
Dann kam der großartige Anblick von San Sebastián, eine neue Stadt und so schematisch wie ein Schachbrett, möglicherweise zu perfekt.
Hugo sinniert über die Besonderheiten der Region: „In San Sebastian ist man eigentlich fast kein Spanier, man ist Baske […]. Man wird als Baske geboren, spricht Baskisch, man lebt als Baske und stirbt als Baske. Der baskische Dialekt ist ein Zuhause, ich hätte fast gesagt eine Religion“ (3). Diese romantische Vorstellung einer bestimmten Region verhindert nicht eine präzise Analyse der zugrundeliegenden ideologischen Realität und Hugo, der so wenig von Frankreich, aber so viel vom Département Vendée gesehen hatte (4), bemerkte mögliche Analogien mit der bekanntermaßen konservativen französischen Region: „Auf den ersten Blick erscheint solch ein Land bewundernswert auf französische Neuerungen vorbereitet. Das ist ein Trugschluss. Etablierte Freiheiten fürchten eine neue Form der Freiheit“ (5). Sein persönlicher Wandel vom Legitimisten der Monarchie zum vorbildlichen Republikaner geschah nach und nach. Während Hugo nach dem Tod seiner Mutter 1821 verkündet hatte, nicht länger ein „Vendéener im Herzen, sondern nun mit ganzer Seele“ zu sein, wurde nach seiner Rückkehr von dieser Reise seine zunehmende Distanz zum königlichen Gefolge immer deutlicher, bis sie in seiner Reaktion auf die Geschehnisse der Revolution 1848 dann unbestreitbar wurde. Diese Transformation war bedingt durch seine Vision der tatsächlichen Realität in Vendéen, die er erkannte, indem er sie auf das baskische Volk projizierte.
Auf einem Spaziergang gab sich der Schriftsteller den Tagträumen des einsamen Wanderers hin: „Ich sah eine Straße, nahm sie wie zufällig und lief sie hinunter. Unterwegs in den Bergen wusste ich nicht wirklich, wo ich mich befand. Nach und nach führte mich die Landschaft, die an mir vorbeizog, immer tiefer in meine inneren Welten, was man Tagträumerei nennen mag. Ich hatte meinen Blick nach innen gerichtet und nahm die Welt um mich herum kaum mehr wahr, sondern fühlte meine Seele’ (7). Seine Streifzüge führten zu einer faszinierenden Einsicht:
Dieser wunderbare und bezaubernde Ort, wie all die Orte, in denen man sowohl Freude als auch Erhabenheit findet, dieser unbekannte Ort, der einer der schönsten ist, die ich je gesehen habe und den noch nie ein Tourist besucht hat, dieses bescheidene Fleckchen Erde und Wasser, das man in der Schweiz sicherlich sehr bewundern würde, das in Italien berühmt wäre, aber hier völlig unbekannt ist, weil es in Giupuzcoa liegt, dieser kleine, strahlende Garten Eden, in den ich zufällig hineingeraten bin, ohne zu wissen, wohin ich gehe oder wo ich bin, heißt Pasages auf Spanisch oder die Passage in Französisch. (8)
Hugo beschloss, mit Juliette für eine Weile in Pasajes zu bleiben. Für die Menschen in San Sebastian war das natürlich ein Skandal, sie dachten, der französische Schriftsteller wäre verrückt geworden, sich in solch einem Loch niederzulassen. Aber die Beschreibung dessen, was er von seinem Balkon aus sehen konnte, zeugt vom exzellenten Geschmack des Schriftstellers:
Rund um die Bucht sieht man einen weit gefassten Halbkreis von Hügeln, die, Wogen gleich, in den Horizont hineinströmen, beherrscht vom Arun mit seinen kargen Wipfeln […]. Der Himmel zeigt sich in allen Blau-Schattierungen, von Türkis zu Saphir, und die Bucht schimmert in allen Grüntönen, von Jade bis Chrysopras. Dieser Bucht erscheint in wundervoller Anmut. Wenn ich den Horizont ansehe, der sie umschließt, sieht sie aus wie ein See, wenn die Flut kommt, ist sie das Meer. (9)
Das Haus selbst ließ einige Wünsche offen: Es schien in den Boden zu sinken, die Fußböden gaben nach und man konnte durch die enormen Risse hindurchsehen (10), aber Hugo beschreibt es trotzdem als bezaubernd:
Das Haus, in dem ich lebe, ist gleichzeitig das würdevollste, das die Straße überblickt, und das freudvollste, das auf die Bucht sieht […]. Das Haus, in dem ich bin, hat zwei Etagen und zwei Türen, Es ist wunderlich und höchst seltsam und zeigt im höheren Maße diese zwei Charakteristika, die den Häusern in Pasajes eigen sind. Es ist das Monumentale, das sich hier mit dem Einfachen vereint. Es ist eine Mischung aus Hütte und Palast. (11)
In Pasajes, einer idyllischen Kleinstadt, in der die Menschen arbeiteten, tanzten und sangen, wo sich Berge und Meer trafen, entwickelte Hugo seine ‘Theorie der Ulme, Theorie des Sandsteins’ (12), in der er erklärt, dass in der Natur alles eins ist: „Die Pasages-Berge sind aus zwei bestimmten Gründen so anziehend für mich. Zum einen, weil sie an die See grenzen, was ihre Täler gleichzeitig zu Buchten macht und ihre Hügelchen zu Vorgebirgen, zum anderen, weil sie aus Sandstein sind.
Ausgelöst durch den Ertrinkungstod seiner Tochter Léopoldine am Ende der Reise durch die Pyrenäen, geriet der Autor 1843 in eine Lebenskrise, die sicherlich von dieser Landschaft, die so viele Gegensätze zusammenbrachte, Meer und Berge, Mineralisches und Pflanzliches, Persönliches und Politisches, Sterblichkeit und Ewigkeit, genährt wurde. Ein Schlüsselmoment und eine Wendung in der romantischen Strömung. Einige Elemente des neuen Hugo erwachten während seiner Wanderungen durch die steilen Berge von Pasajes und nahmen in dem Haus, das heute das Victor-Hugo-Museum beherbergt, Gestalt an.
- « Où la maison de France a épousé la maison d’Autriche, où Mazarin, l’athlète de l’astuce, a lutté corps à corps avec Louis de Haro, l’athlète de l’orgueil, une vache broute l’herbe. » (Our translation). Victor Hugo, Œuvres complètes de Victor Hugo, En voyage, tome II, París, Librairie Ollendorff, 1910, p. 321.
- « C’est là que l’Espagne m’est apparue pour la première fois et m’a si fort étonné, avec ses maisons noires, ses rues étroites, ses balcons de bois et ses portes de Forteresse, moi l’enfant français élevé dans l’acajou de l’empire […]. Hélas ! Irun n’est plus Irun. Irun est maintenant plus empire et plus acajou que Paris. Ce ne sont que maisons blanches et contrevents verts. On sent que l’Espagne, toujours arriérée, lit Jean-Jacques Rousseau en ce moment. Irun a perdu toute sa physionomie. Ô villages qu’on embellit, que vous devenez laids ! Où est l’histoire ? où est le passé ? où est la poésie ? où sont les souvenirs ? Irun ressemble aux Batignolles. », Ibid., p. 321.
- « On est à peine espagnol à Saint-Sébastien ; on est basque […]. On naît basque, on parle basque, on vit basque et l’on meurt basque. La langue basque est une patrie, j’ai presque dit une religion. », Ibid., p. 326.
- « J’ai trop peu vu la France et trop vu la Vendée ». Poème écrit en 1846.
- « Au premier abord, il semblerait qu’une nation pareille était admirablement préparée pour recevoir les nouveautés françaises. Erreur. Les vieilles libertés craignent la liberté nouvelle. » Victor Hugo, Op. cit. (En Voyage), p. 327.
- Victor Hugo, Œuvres complètes. Précédées d’une notice biographique sur l’auteur, et terminées par sa dernière œuvre, la trilogie des Burgraves, tome 1, Littérature et philosophie mêlées. Octobre, París, s. e., 1843, p. 622.
- « Une route s’était présentée, je l’avais acceptée au hasard, et j’allais. Je marchais dans la montagne sans trop savoir où j’étais ; peu à peu le paysage extérieur, que je regardais vaguement, avait développé en moi cet autre paysage intérieur que nous nommons la rêverie ; j’avais l’œil tourné et ouvert au dedans de moi, et je ne voyais plus la nature, je voyais mon esprit. » Victor Hugo, Opus cit. (En Voyage), p. 333.
- « Cet endroit magnifique et charmant comme tout ce qui a le double caractère de la joie et de la grandeur, ce lieu inédit qui est un des plus beaux que j’aie vus et qu’aucun ‘tourist’ ne visite, cet humble coin de terre et d’eau qui serait admiré s’il était en Suisse et célèbre s’il était en Italie, et qui est inconnu parce qu’il est en Guipuzcoa, ce petit éden rayonnant où j’arrivais par hasard, et sans savoir où j’allais, et sans savoir où j’étais, s’appelle en espagnol Pasages et en français le Passage. » Ibid., p. 336.
- « Tout autour de la baie, un large demi-cercle de collines dont les ondulations vont se perdre à l’horizon et que dominent les faîtes décharnés du mont Arun […]. Le ciel a toutes les nuances du bleu depuis la turquoise jusqu’au saphir, et la baie toutes les nuances du vert depuis l’émeraude jusqu’à la chrysoprase. Aucune grâce ne manque à cette baie ; quand je regarde l’horizon qui l’enferme, c’est un lac ; quand je regarde la marée qui monte, c’est la mer. » Ibid., p. 340-341.
- Ibid., p. 343.
- « La maison que j’habite est à la fois une des plus solennelles qui regardent la rue, et une des plus gaies qui regardent le golfe. […]. La maison où je suis a deux étages et deux entrées. Elle est curieuse et rare entre toutes, et porte au plus haut degré le double caractère si original des maisons de Pasages. C’est le monumental rapiécé avec le rustique. C’est une cabane mêlée et soudée à un palais. » Ibid., p. 340-341.
- Ibid., p. 350 y siguientes.
- « Les montagnes de Pasages ont pour moi deux attraits particuliers. Le premier, c’est qu’elles touchent à la mer qui à chaque instant fait de leurs vallées des golfes et de leurs croupes des promontoires. Le second, c’est qu’elles sont en grès. » Ibid., p. 352.