Beitrag von: Jeff Cowton
Standort: The Wordsworth Trust, Grasmere
Beschreibung: Dies ist ein Exemplar der 1882er Ausgabe von William Wordsworths Guide to the Lakes mit den originalen Buchdeckeln, das den Bericht über seine Ersteigung des Scafell Pike, Englands höchstem Berg, enthält. Insgesamt wurden 500 Exemplare des Guide gedruckt und dann für jeweils 5/- (heutzutage 25 Pence) verkauft. Diese Ausgabe hat eine Größe, dass man sie gut auf eine Reise mitnehmen konnte. Wordsworth Werk war massiv von seinen Touren nach Europa beeinflusst, insbesondere von seinen Erfahrungen aus dem Jahr 1790, als er, zu dem Zeitpunkt 22 Jahre alt, mit seinem Freund Robert Jones durch ganz Frankreich bis zu den Alpen wanderte. Durch die Entstehungsgeschichte von Guide to the Lakes ist man sich auch relativ sicher, dass Rousseaus einflussreiche Beschreibung der Alpen mitgeprägt hat, wie die Lakes und die Besteigung des Scafell Pike hier dargestellt und erlebt werden.
Das Werk gibt uns einen Eindruck von Wordsworth als Dichter des Lake District, der hier in seinen ‘heimatlichen Bergen’ wandert, genauer gesagt, auf dem höchsten Berg, dem Scafell Pike. Zeitgenössische Touristen erstiegen andere 3000 Fuß hohe Berge, namentlich den Helvellyn und den Skiddaw, aber nur wenige versuchten sich am Scafell Pike. Der ortsansässige Künstler und Verfasser von Reiseführern, William Green, beschreibt seine Besteigung im Jahre 1816, aber der Bericht wurde erst 1819 veröffentlicht, und das war ein Jahr nach der Klettertour, die Wordsworth in Guide to the Lakes beschreibt. Selbst die Hirten zogen selten in Richtung des Gipfels, da ihre Schafe dort oben nur wenig Essbares fanden.
Der vorliegende Bericht, so Wordsworth, ist eigentlich aus einem Brief an einen Freund entnommen. Er beschreibt, wie der Wanderer am 7. Oktober 1818 aufbrach, das ursprüngliche Ziel Esk Haus erreichte, dort eine Weile die Aussicht genoss, und dann entschied, dass Tageszeit und Wetter gut genug seien, um den Aufstieg bis zum Gipfel fortzusetzen. Oben angekommen, freute er sich darüber, wie weit er in die Ferne sehen konnte, und bemerkte, dass der Fels mit Flechten, „genährt von Wolken und Tau“ und von „lebhafter und ausgesprochener Schönheit“, verziert war. Der Bericht erwähnt weiterhin, dass die Felsen schienen wie „Skelett und Knochen der Erde, die es für die Schaffung der Welt nicht gebraucht hatte“ und dass „sich auf dem Gipfel des Pike, den wir mit Mühe und großen Schwierigkeiten erreichten, kein Windhauch rührte, selbst das Papier, in das wir unsere Verpflegung eingeschlagen hatten, lag völlig still. Diese Ruhe schien nicht von dieser Welt zu sein.“
Diese Beschreibung erinnert stark an einen Auszug aus Jean-Jacques Rousseaus Julie oder Die neue Heloise (1761), möglicherweise der berühmteste Roman des 18. Jahrhunderts. Im 23. Brief schreibt St Preux an seine Geliebte, Julie d’Etanges, während er durch das obere Wallis in der Schweiz reist. Er schildert „massive Felswände“ und einen „Abgrund“ unter ihm, diese Gegensätze erwecken in ihm nach der Erfahrung höchster Erhabenheit eine „tiefe Ruhe“. Er bemerkt, wie sich „Donner und Sturm im Tal sammeln“. Er beschreibt die Luft in dieser Höhe als „pur und fein, man atmet freier, man fühlt sich leichter im eigenen Körper, gelassener in den Gedanken“. Schließlich beschreibt er außerdem, dass „die Feinheit der Luft … Farben lebhafter macht, Umrisse schärfer und alles näher vors Auge rücken lässt“. In vielerlei Hinsicht finden sich diese Schilderungen im Guide wieder: Auch hier wird die Aussicht beschrieben als aus großen Körpern und tiefen Abgründen zusammengesetzt, („…der Great Gable, am höchsten aufragend und von besonderer, massiver Form“ und Wasdales „unfassbar tiefer Schlund“), wird ein Sturm erwähnt, der, einmal vorbeigezogen, die Anwesenden „unbehelligt die Kämpfe von Dunkelheit und Sonnenschein in anderen Wegabschnitten beobachten lässt“, und gleichermaßen von einem tiefen Frieden gesprochen: „Wir pausierten und waren ganz still, um zu lauschen, kein Geräusch war zu hören, nicht einmal das Summen eines Insekts“. Die Lebendigkeit der Flechten auf dem Gipfel des Pike wurde bereits erwähnt.
Es gibt keine Beweise, dass die Wordsworths jemals Rousseaus Roman gelesen hat. Aber seinen Einfluss hätte man auch in vielen anderen Büchern finden können, die sie vielleicht gelesen haben. Außerdem befanden sich Ausgaben von anderen Werken Rousseaus in der Familienbibliothek (siehe Bainbridge 2017). Diese rousseau-istischen Passagen beeinflussten wiederum wie spätere Touristen ihre eigene Besteigung des Scafell Pike wahrnahmen, denn in späteren Reiseberichten von anderen Autoren bezog man sich auf sie oder sie wurden zitiert. Zu der Zeit als Harriet Martineau 1855 ihren ‘Guide’ veröffentlichte, war die Scafell-Bergkette wesentlich beliebter geworden, aber immer noch eine Herausforderung, und Martineau zitiert Wordsworth Beschreibungen ausführlich. Eliza Lynn Linton, die erste festangestellte Journalistin Großbritanniens, veröffentlichte 1864 Berichte über eine Reihe von Wanderungen in der Gegend, in denen sie sich ebenfalls häufig auf Wordsworths Guide bezog.
Aber Leser dieser Bücher, ebenso wie von Wordsworths Original, hatten keine Ahnung, dass der Bergsteiger und Autor der ursprünglichen Berichte eigentlich eine Bergsteigerin und Autorin war: Williams Schwester Dorothy. Manuskripte in der Wordsworth Trust Kollektion, Bestandteil der Grasmere Sammlung, verraten die Hintergrundgeschichte. Die Beschreibung, die in dem veröffentlichten Guide enthalten ist, so Wordsworth, ist eine überarbeitete Version der Original-Schilderung aus ebendiesen Manuskripten. Passagen wurden ausgelassen oder ihre Reihenfolge wurde geändert, einzelne Sätze editiert. Aber es steht außer Frage, dass der Ursprung dieses Textes auf einen Brief zurückgeht, den Dorothy an William Johnson, den einstigen Kaplan von Grasmere, geschrieben hat. Dieser Brief verrät außerdem, dass Dorothy von Mary Barker sowie drei zusätzlichen Helfern und einem Hirten als Führer begleitet wurde. Die Wanderung dieser beiden Frauen kann man als Pionier-Arbeit im Bereich der Bergsteigerei ansehen. Es ist also kein Wunder, dass Dorothy triumphierend schreibt „der Mut habe sie nicht verlassen“. Es ist interessant, sich Dorothy als diejenige vorzustellen, die St Preuxs Gespür für die Berge geerbt hat, und somit auf der Spitze des Scafell die Erinnerung an Rousseau nicht nur für sich selbst, sondern auch für so viele Menschen nach ihr wachgerufen hat.